Informationsabend
Dr. Werner Daum,
Sudan-Experte, Botschafter a.D.
Sudan 1989 - 2010
1. Sudan
1989
Größtes Land Afrikas (etwa so groß
wie Westeuropa); 40 Mio Einwohner, davon 21% in Südsudan;
Khartum: Megastadt mit 7 Mio Einwohnern.
Das heute noch amtierende Regime kam durch
einen unblutigen Militärputsch am 30. 6. 1989 an die Macht.
Die (demokratisch gewählte) Regierung war durch die Bürgerkriege
im Süden und in Darfur, vor allem aber durch Mißwirtschaft
derart diskreditiert, daß die Mehrheit der Bevölkerung
den Putsch begrüßte.
2. Zwei Köpfe, zwei
Politiken
Das neue Regime hatte 2 Köpfe, den heute
noch amtierenden StP Omar Hasan Ahmed al-Bashir, einen nach wie
vor volkstümlichen Militär, und den Führer der
islamistischen Partei, den hochgebildeten Intellektuellen Hasan
al-Turabi, einen Mann demagogischer Redegewalt.
Zwei Programme: Erstens: Transformation Sudans in eine islamistische
Republik, Ausschließung und Verfolgung Andersdenkender,
MR-Verletzungen, Verschärfung des Bürgerkrieges (nach
Sturz Mengistus 1991). Zweitens: Soziale und gesellschaftliche
Modernisierung; wirtschaftliche Reform.
3. Wirtschaftliche
Entwicklung
Mit dem Putsch wurde die ausl. E-Hilfe von
einem auf den anderen Tag eingestellt (bis 1989 wurde der Staatshaushalt
zu 80% aus ausländischen Quellen gedeckt). Sudan ist seit
20 Jahren das einzige größere E-Land, das keinerlei
E-Hilfe erhielt. Das Resultat ist
frappierend und faszinierend – es sollte der E-Politik weltweit
zur Lehre dienen. Dies ist nicht der Fall.
Nach einer sehr schwierigen Übergangszeit
von etwa 3 Jahren hat Sudan aus eigener Kraft eine komplette Wirtschaftsreform
durchgeführt. Seitdem GDP-Wachstumsraten von durchschnittlich
5% über dem Bevölkerungswachstum, seit 2001 auch von
den ehrgeizig erschlossenen Ölvorkommen unterstützt.
Massive Verschlankung des Staatsapparates (und damit Entfremdung
der vor- und nachkolonialen Führungsschichten); gewaltige
Expansion des Erziehungswesens; einzige Megastadt Schwarzafrikas
ohne Slums und dadurch fast zero Kriminalität.
BSP per capita 2010 (projected) 1400 $ (dabei
zu berücksichtigen, daß Südsudan etc. wegen Naturalwirtschaft
ein BSP von Null beisteuern). Reales GDP-Wachstum 2008 8,5% (non-oil
sogar 10%), 2009 4%, 2010 (projected) 5%.
Massive Investitionen in Infrastruktur (Öl,
Straßen, Erziehung), vor allem Marawi-Staudamm, größtes
Infrastruktur-Projekt Afrikas (1260 MW, mehr als die Hälfte
von Assuan oder Cahora Bassa).
Sudan hat aus der Zeit 1955 bis 1989 Schulden
in nicht zurückzahlbarer Höhe geerbt (1985 waren es
11 Mrd $, 1990 16 Mrd, heute – durch Zinsen – über
34 Mrd $). Sudan hat jedoch trotz erheblich besserer wirtschaftlicher
Performance als andere E-Länder keine Schulden-Befreiung
unter der HIPC-Initiative erhalten.
4. Südsudan
Die politisch größte Leistung des
Regimes ist das CPA (Comprehensive Peace Agreement) mit der Rebellenbewegung
SPLM (9. 1. 2005), durch das der seit 1955 (mit Unterbrechungen)
bestehende Bürgerkrieg beendet wurde. Januar 2011 wird ein
Referendum darüber entscheiden, ob das Land sich teilt und
Südsudan unabhängig wird. Erste freie Wahlen sind für
April 2010 vorgesehen.
Das CPA kam nicht aus dem Nichts: vielmehr
Abschluß einer 1996 begonnenen Entwicklung. Gemäß
CPA erhält Südsudan seit 2005 die Hälfte der Netto-Öleinnahmen,
bisher gut 6 Mrd. $.
5. Darfur
Der gegenwärtige Konflikt in Darfur begann
am 26. 2. 2003 mit einem Rebellenangriff auf die Garnison Gulu,
und am 25. 4. 2003 mit einem Angriff auf den Flughafen El Fasher.
Die Rebellen haben ihre Basis im wesentlichen
unter den Stämmen der Fur, der Zaghawa, und der Masalit.
Die sudanesische Regierung hat die Rebellen massiv bekämpft,
und zugleich Stämme, die mit den soeben genannten verfeindet
sind, bewaffnet.
Bei den Kämpfen (2003 bis 2004, seitdem
abgeflaut) wurden zahlreiche Zivilisten getötet, und Hunderttausende
vertrieben. Die Zahlenschätzungen schwanken, sind zum Teil
reine Phantasie. Der ICC spricht in seinem Haftbefehl 2009 von
at least 35.000 Toten; die verläßlichste Schätzung
geht von 131.000 Toten aus, davon 30% durch Gewalt, 70% durch
Krankheiten und Unterernährung.
Wie viele der Getöteten und Vertriebenen
der Regierung (etc.), und wie viele den Rebellen zuzurechnen sind,
läßt sich nicht ermitteln.
6. Ursachen des Darfur-Konflikts
- Darfur hatte 1900 etwa 300.000 Einwohner;
1956 waren es 1,5 Mio; heute 7,6 Mio. Folge: Unsustainable environmental
degradation, Konflikt zwischen Seßhaften und Nomaden; zusätzlich:
Desertifizierung
- 1987-89 war Darfur die am. Basis für
den Kampf um Tschad; damals (wie heute) auch andere ausl. Akteure.
Seitdem awash with weapons
- Zaghawa und Masalit leben diesseits und
jenseits der Grenze
- die Frage, ob und inwieweit “arabische“
und “afrikanische“ Identität eine Rolle spielen,
ist umstritten. Tribale Identitäten sind in hohem Maße
Schöpfung der Kolonialzeit. Haupttrennungslinie sind landbesitzende
“Stämme“, und nomadische “Stämme“.
Tribale “Identität“ ist fluide, ist kein naturwissenschaftlicher
Begriff, und wird in Konfliktsituationen verstärkt. Die Einwanderungstheorien
(Araber aus dem Niltal) sind in der Wissenschaft seit langem aufgegeben,
leben aber in Medienberichten fort.
-Aufhebung der “Native Administration“
1971, mit 2 Folgen: Tribale Konfliktlösungsmechanismen nicht
mehr möglich; zugleich Auflösung der schnell und überall
einsetzbaren horse-mounted company (1000 Mann), Nyala.
- Marginalisierung Darfurs und ungenügende Dezentralisierung
7. Kosten
In den Flüchtlingslagern arbeiten etwa 14.000 aid workers;
Kosten pro Jahr 800 Mio $. Ferner UNAMID mit 26.000 Soldaten und
Polizisten
8. Diskrepanz zwischen Realität
und Wahrnehmung
Mamdani, einer der (whatever that means) weltweit
“Top 100 Public Intellectuals“, noch vor Noam Chomsky
und dem Papst, stellt in einem kürzlich erschienen aufsehenerregenden
akademischen Buch die komplexe Geschichte und Hintergründe
des Konflikts dar. Er vergleicht ihn mit den ca. 5 Mio Toten der
letzten Jahre in Ostkongo (andere Schätzungen sprechen von
3,9 Mio Toten von 1998 bis 2004), und den durch die am. Invasion
Iraks getöteten Menschen (deutlich mehr als in Darfur, und
von ihnen deutlich mehr durch Gewalt), und fragt, warum von diesen
3 Konflikten nur ein einziger weltweite Aufmerksamkeit und Empörung
findet. Er fragt ferner, warum der ICC im Konflikt in Norduganda
einen Haftbefehl nur gegen eine Seite erlassen hat.
Dr. Werner Daum war bis vor kurzem Angehöriger
des deutschen auswärtigen Dienstes, u.a. Botschafter in Jemen,
Sudan, Kuwait und Albanien.1987, zusammen mit Prof. Walter Raunig,
Kurator der großen Jemen-Ausstellung, hier in diesem Haus,
und Herausgeber des Ausstellungs -Katalogs; 1999 ebenso für
die Albanien-Ausstellung. Herr Daum hat auch die sehr umfangreiche
Jemen-Sammlung und die Albanien-Sammlung des Staatl. Museums für
Völkerkunde hier in München aufgebaut.
Unkostenbeitrag
für Nicht-Mitglieder € 5.00/ Studenten € 2.50
Mitglieder bitte Ausweise vorlegen
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