Gesellschaft für Asiatische Kunst und Kultur e.V.






Do., 18. Februar 2010

 


Do., 18. Februar 10
19.00 Uhr

 

 

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Informationsabend

Dr. Werner Daum, Sudan-Experte, Botschafter a.D.
Sudan 1989 - 2010

1. Sudan 1989

Größtes Land Afrikas (etwa so groß wie Westeuropa); 40 Mio Einwohner, davon 21% in Südsudan; Khartum: Megastadt mit 7 Mio Einwohnern.

Das heute noch amtierende Regime kam durch einen unblutigen Militärputsch am 30. 6. 1989 an die Macht. Die (demokratisch gewählte) Regierung war durch die Bürgerkriege im Süden und in Darfur, vor allem aber durch Mißwirtschaft derart diskreditiert, daß die Mehrheit der Bevölkerung den Putsch begrüßte.

2. Zwei Köpfe, zwei Politiken

Das neue Regime hatte 2 Köpfe, den heute noch amtierenden StP Omar Hasan Ahmed al-Bashir, einen nach wie vor volkstümlichen Militär, und den Führer der islamistischen Partei, den hochgebildeten Intellektuellen Hasan al-Turabi, einen Mann demagogischer Redegewalt.
Zwei Programme: Erstens: Transformation Sudans in eine islamistische Republik, Ausschließung und Verfolgung Andersdenkender, MR-Verletzungen, Verschärfung des Bürgerkrieges (nach Sturz Mengistus 1991). Zweitens: Soziale und gesellschaftliche Modernisierung; wirtschaftliche Reform.

3. Wirtschaftliche Entwicklung

Mit dem Putsch wurde die ausl. E-Hilfe von einem auf den anderen Tag eingestellt (bis 1989 wurde der Staatshaushalt zu 80% aus ausländischen Quellen gedeckt). Sudan ist seit 20 Jahren das einzige größere E-Land, das keinerlei E-Hilfe erhielt. Das Resultat ist
frappierend und faszinierend – es sollte der E-Politik weltweit zur Lehre dienen. Dies ist nicht der Fall.

Nach einer sehr schwierigen Übergangszeit von etwa 3 Jahren hat Sudan aus eigener Kraft eine komplette Wirtschaftsreform durchgeführt. Seitdem GDP-Wachstumsraten von durchschnittlich 5% über dem Bevölkerungswachstum, seit 2001 auch von den ehrgeizig erschlossenen Ölvorkommen unterstützt. Massive Verschlankung des Staatsapparates (und damit Entfremdung der vor- und nachkolonialen Führungsschichten); gewaltige Expansion des Erziehungswesens; einzige Megastadt Schwarzafrikas ohne Slums und dadurch fast zero Kriminalität.

BSP per capita 2010 (projected) 1400 $ (dabei zu berücksichtigen, daß Südsudan etc. wegen Naturalwirtschaft ein BSP von Null beisteuern). Reales GDP-Wachstum 2008 8,5% (non-oil sogar 10%), 2009 4%, 2010 (projected) 5%.

Massive Investitionen in Infrastruktur (Öl, Straßen, Erziehung), vor allem Marawi-Staudamm, größtes Infrastruktur-Projekt Afrikas (1260 MW, mehr als die Hälfte von Assuan oder Cahora Bassa).

Sudan hat aus der Zeit 1955 bis 1989 Schulden in nicht zurückzahlbarer Höhe geerbt (1985 waren es 11 Mrd $, 1990 16 Mrd, heute – durch Zinsen – über 34 Mrd $). Sudan hat jedoch trotz erheblich besserer wirtschaftlicher Performance als andere E-Länder keine Schulden-Befreiung unter der HIPC-Initiative erhalten.

4. Südsudan

Die politisch größte Leistung des Regimes ist das CPA (Comprehensive Peace Agreement) mit der Rebellenbewegung SPLM (9. 1. 2005), durch das der seit 1955 (mit Unterbrechungen) bestehende Bürgerkrieg beendet wurde. Januar 2011 wird ein Referendum darüber entscheiden, ob das Land sich teilt und Südsudan unabhängig wird. Erste freie Wahlen sind für April 2010 vorgesehen.

Das CPA kam nicht aus dem Nichts: vielmehr Abschluß einer 1996 begonnenen Entwicklung. Gemäß CPA erhält Südsudan seit 2005 die Hälfte der Netto-Öleinnahmen, bisher gut 6 Mrd. $.

5. Darfur

Der gegenwärtige Konflikt in Darfur begann am 26. 2. 2003 mit einem Rebellenangriff auf die Garnison Gulu, und am 25. 4. 2003 mit einem Angriff auf den Flughafen El Fasher.

Die Rebellen haben ihre Basis im wesentlichen unter den Stämmen der Fur, der Zaghawa, und der Masalit. Die sudanesische Regierung hat die Rebellen massiv bekämpft, und zugleich Stämme, die mit den soeben genannten verfeindet sind, bewaffnet.

Bei den Kämpfen (2003 bis 2004, seitdem abgeflaut) wurden zahlreiche Zivilisten getötet, und Hunderttausende vertrieben. Die Zahlenschätzungen schwanken, sind zum Teil reine Phantasie. Der ICC spricht in seinem Haftbefehl 2009 von at least 35.000 Toten; die verläßlichste Schätzung geht von 131.000 Toten aus, davon 30% durch Gewalt, 70% durch Krankheiten und Unterernährung.

Wie viele der Getöteten und Vertriebenen der Regierung (etc.), und wie viele den Rebellen zuzurechnen sind, läßt sich nicht ermitteln.

6. Ursachen des Darfur-Konflikts

- Darfur hatte 1900 etwa 300.000 Einwohner; 1956 waren es 1,5 Mio; heute 7,6 Mio. Folge: Unsustainable environmental degradation, Konflikt zwischen Seßhaften und Nomaden; zusätzlich: Desertifizierung

- 1987-89 war Darfur die am. Basis für den Kampf um Tschad; damals (wie heute) auch andere ausl. Akteure. Seitdem awash with weapons

- Zaghawa und Masalit leben diesseits und jenseits der Grenze

- die Frage, ob und inwieweit “arabische“ und “afrikanische“ Identität eine Rolle spielen, ist umstritten. Tribale Identitäten sind in hohem Maße Schöpfung der Kolonialzeit. Haupttrennungslinie sind landbesitzende “Stämme“, und nomadische “Stämme“. Tribale “Identität“ ist fluide, ist kein naturwissenschaftlicher Begriff, und wird in Konfliktsituationen verstärkt. Die Einwanderungstheorien (Araber aus dem Niltal) sind in der Wissenschaft seit langem aufgegeben, leben aber in Medienberichten fort.

-Aufhebung der “Native Administration“ 1971, mit 2 Folgen: Tribale Konfliktlösungsmechanismen nicht mehr möglich; zugleich Auflösung der schnell und überall einsetzbaren horse-mounted company (1000 Mann), Nyala.
- Marginalisierung Darfurs und ungenügende Dezentralisierung

7. Kosten

In den Flüchtlingslagern arbeiten etwa 14.000 aid workers; Kosten pro Jahr 800 Mio $. Ferner UNAMID mit 26.000 Soldaten und Polizisten

8. Diskrepanz zwischen Realität und Wahrnehmung

Mamdani, einer der (whatever that means) weltweit “Top 100 Public Intellectuals“, noch vor Noam Chomsky und dem Papst, stellt in einem kürzlich erschienen aufsehenerregenden akademischen Buch die komplexe Geschichte und Hintergründe des Konflikts dar. Er vergleicht ihn mit den ca. 5 Mio Toten der letzten Jahre in Ostkongo (andere Schätzungen sprechen von 3,9 Mio Toten von 1998 bis 2004), und den durch die am. Invasion Iraks getöteten Menschen (deutlich mehr als in Darfur, und von ihnen deutlich mehr durch Gewalt), und fragt, warum von diesen 3 Konflikten nur ein einziger weltweite Aufmerksamkeit und Empörung findet. Er fragt ferner, warum der ICC im Konflikt in Norduganda einen Haftbefehl nur gegen eine Seite erlassen hat.

Dr. Werner Daum war bis vor kurzem Angehöriger des deutschen auswärtigen Dienstes, u.a. Botschafter in Jemen, Sudan, Kuwait und Albanien.1987, zusammen mit Prof. Walter Raunig, Kurator der großen Jemen-Ausstellung, hier in diesem Haus, und Herausgeber des Ausstellungs -Katalogs; 1999 ebenso für die Albanien-Ausstellung. Herr Daum hat auch die sehr umfangreiche Jemen-Sammlung und die Albanien-Sammlung des Staatl. Museums für Völkerkunde hier in München aufgebaut.

Unkostenbeitrag für Nicht-Mitglieder € 5.00/ Studenten € 2.50
Mitglieder bitte Ausweise vorlegen